• Meine zwei Seelen und ich Katharina Müller über den inneren Schweinehund

    Als ich wegen eines Termins im Rathaus zum ersten Mal Gotha besuchte, kam ich an einem Second-Hand-Laden mit einer Auswahl hübscher Kaffeekannen vorbei. Besonders eine schwarz-weiß gemusterte im Jugendstil-Design mit vergoldeter Tülle hatte es mir angetan. Wunderschön! Ich machte einen Schritt in Richtung Ladentür. „Nein“, sagte mein vernünftiges Ich streng und packte mich gleichsam am Schlafittchen, „die kaufst du jetzt nicht. Denk an dein Haushaltsbuch! Hast du heute etwa schon etwas eingenommen?“ Stumm schüttelte ich den Kopf. „Na also! Dann wird jetzt auch nichts ausgegeben! Du trinkst doch eh nur Tee. Und was willst du mit dem Ding im Rathaus? Ist da etwa ein Polterabend?“ Bei der Konfrontation mit meinem vernünftigen Ich ziehe ich oft den Kürzeren. Gehorsam trabte ich an dem Geschäft vorbei. Doch auf dem Nachhauseweg dachte ich traurig an das dekorative Gefäß. „Wenn ich das nächste Mal nach Gotha fahre und sie noch im Schaufenster steht…“ dachte ich sehnsüchtig. Mein vernünftiges Ich hatte auch dazu etwas zu sagen, aber ich hörte nicht zu. Ein paar Wochen später traf ich wieder in der Residenzstadt ein, diesmal, um mein Stipendium anzutreten. Nun denken Sie bloß, was ich für Glück hatte: Meine Kaffeekanne stand noch im Schaufenster, möglicherweise noch eine Idee hübscher als ich sie in Erinnerung hatte! Ich betrat das Geschäft ohne Zögern. Und stellen Sie sich vor: der Preis war reduziert! Um die Hälfte! Ich erwarb den Haushaltsgegenstand umgehend und brachte ihn stolz in mein neues Zuhause. Mein vernünftiges Ich schmollte. Was ich mit meiner Neuerwerbung jetzt anfange, möchten Sie sicher wissen? Zunächst stellte ich die Kanne auf ein Regal, wo sie, zugegeben, etwas sinnfrei posierte. Dann aber führte ich sie ihrer wahren Bestimmung zu: Als Blumenvase sieht sie umwerfend aus, besonders mit gelben Narzissen oder Ranunkeln. „Siehst du?“ sagte ich meinem vernünftigen Ich, dem es ausnahmsweise mal die Sprache verschlagen hatte. Gerade komme ich wieder an dem Second-Hand-Laden vorbei. Im Schaufenster steht jetzt ein bildschöner Bauernschrank, etwa zwei Meter hoch, mit reizenden gedrechselten Dekorationen. Mein Herz schlägt schneller. Ich nehme Kurs auf die Ladentür. Ich lege die Hand auf die Türklinke. „Nun mach aber mal einen Punkt“, sagt mein vernünftiges Ich. „Du hast doch schon einen Bauernschrank mit hübschen Drechseleien. Und selbst wenn du Platz für einen zweiten hättest – wie willst Du diesen hier später nach Berlin schaffen? Huckepack auf dem Fahrrad?“ „Ist ja schon gut“, sage ich und gehe weiter. Mit meinem vernünftigen Ich ist nicht zu spaßen. Die Kunst besteht darin, ihm manchmal nicht zuzuhören.

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