Ich ja, ehrlich gesagt. Vorgehabt hatte ich das nicht. Doch in den ersten Tagen der „Corona-Krise“, nach Medienberichten über leergekaufte Ladenregale, wurde auch ich unruhig. Und so machte ich mich zu dem sehr großen Supermarkt ganz in meiner Nähe auf, der über zwei Etagen Haushaltswaren und Lebensmittel feilbietet. Und wunderte mich selbst über meine plötzliche Hast. Kennen Sie den alten Ausdruck „Kohldampf“? In den Kindheitserinnerungen meiner Eltern war Hunger ein Dauerthema. Meine Mutter wuchs zu Kriegszeiten bei einer Pflegefamilie auf und bekam nie genug zu essen. Als mein Vater ein kleiner Junge war, flüchtete die ganze Familie (bis auf den Vater, der war noch im Krieg) aus der damals noch Breslau genannten, heute polnischen Stadt Wroc?aw. Auf den langen Fußmärschen wurde die Nahrung knapp; manchmal musste der damals Neunjährige für sich und die jüngeren Geschwister in Bauernhöfen Milch stibitzen. Ob die Erinnerungen meiner Eltern in der noch nicht fassbaren, bedrohlich wirkenden Situation wieder in mir auflebten? Den großen Supermarkt verließ ich übrigens unverrichteter Dinge. Die vielen Menschen, die den Inhalt vollgepackter Einkaufswagen in ihre Autos luden, und die langen Schlangen vor den Kassen schüchterten mich ein. Ich versuchte mein Glück in einem kleineren Verbrauchermarkt. Eine Verkäuferin, die mit Höchstgeschwindigkeit Waren einräumte, nahm sich die Zeit mir das Regal mit den Linsen zu zeigen und ein paar freundliche Worte mit mir zu wechseln. Linsen – mit scharfer Sauce eins meiner Lieblingsgerichte – waren zwar keine mehr da. Aber es gab noch ausreichend andere Lebensmittel. Mit einem Karton voller Esswaren verließ ich schließlich das Geschäft. Doch zu Hause kam ich nicht zur Ruhe. Ich schaute Nachrichten und hatte Angst. Etwas später ging ich wieder aus dem Haus, überquerte die Straße und kaufte in dem kleinen Lebensmittelladen gegenüber einen 5-Kilo-Sack Basmati-Reis aus leuchtend safrangelbem Stoff, und ein großes Paket mit kaum weniger farbenfrohen orangefarbenen Linsen. Die scharfe Sauce war leider „aus“. Ich warf mir meine Einkäufe über die Schulter, schaffte sie nach Hause und fühlte mich ein klein wenig besser. Doch am nächsten Tag „flüchtete“ ich für ein paar Tage aus Gotha. Ich wollte bei vertrauten Menschen sein. Inzwischen bin ich wieder hier bei Ihnen. Ich sehe der nahen Zukunft wieder gefasster und zuversichtlicher entgegen. Doch den Schatten, der da unverhofft auf mein so sorglos begonnenes Stipendiatinnen-Leben fiel, habe ich nicht vergessen.
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