Katharina Müller, Foto: Photoatelier iso25 Katharina Müller, Foto: Photoatelier iso25 Die Stadtschreiberin Katharina Müller berichtet über die Verarbeitung von Waid in Gotha. Wenn Sie heute in der Gretengasse spazieren gehen, genießen Sie, so hoffe ich, die zarte Frühlingsluft. Früher wehte dort ein anderer Wind. Man stellte dort im Waidhaus aus dem gelb blühenden, auch „Goldenes Vlies“ genannten Färberwaid blauen Farbstoff zum Färben von Leinen her. Das wertvolle Pigment verhalf Gotha vom 13. bis 16. Jahrhundert zu Reichtum. Der in Thüringen angebaute Waid war dem anderer Regionen qualitativ weit überlegen und sehr begehrt. Zur Herstellung des Farbstoffs benötigte man spezielle Mühlen mit Mühlsteinen aus Seeberger Sandstein, um die zähen Fasern zu brechen. Der so gewonnenen grünlichen Masse fügte man reichlich Urin hinzu, rollte die Paste zu Waidballen von Tennisballgröße und ließ sie auf der Waiddarre trocknen. In der Gegend um Toulouse, wo der dort „pastel“ genannte Kreuzblütler ebenfalls angebaut wurde, nannte man die für die Befeuchtung des Waids zuständigen Fachleute „les pisseurs“. Wie sie hier hießen, ist mir nicht bekannt. Dass es in der Gretengasse und den Waidhäusern um den Marktplatz herum erbärmlich stank, ist dagegen überliefert. Am besten löste sich angeblich der Farbstoff aus der Faser des Färberwaids, wenn der zugesetzte Harn mit Alkohol angereichert war. Als verantwortungsbewusster Mitarbeiter besuchte man folglich das Wirtshaus. Und wurde man, so die Legende, vom Pfarrer darauf angesprochen, warum man müßig herumhing und sich, vielleicht gar in Gesellschaft einiger Kumpane, des Teufels Gebetbuch in der Hand, im Gasthaus am Bier labte, so antwortete man mit gekränkter Miene: „Aber Herr Pfarrer! Ich mach doch heute blau!“ Der Geistliche kannte die Produktionszyklen jener Kulturpflanze, die so immens zu Gothas Wohlstand beigetragen hatte, und antwortete streng: „Nun gut. Aber am Sonntag will ich dich in der Kirche sehen!“ Und er schritt davon. Der lustige Ausdruck „Blau machen“ (dessen Herkunft nicht ganz zweifelsfrei belegt ist) überdauerte, die Pflanze geriet in Vergessenheit. Denn der indische Indigo war erheblich billiger und farbintensiver als der heimische Färberwaid. In den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts entdeckte Malermeister Wolfgang Feige aus Neudietendorf Färberwaid neu, entwickelte daraus unter anderem antibakterielle, pilz- und wasserabweisende Wandanstriche und erhielt den Preis des Deutschen Erfinders. Die Restaurateurin Rosanna Minelli baut in der Nähe von Erfurt Waid an, färbt damit unter anderem Stoffe und erlesenes Papier und bietet auch Workshops an. Ist die Covid-19-Pandemie überstanden, werden sicher auch wieder Waidmühlenfeste, etwa in Ballstädt, stattfinden, mit – wie einst – von Pferden angetriebenen Mühlen. Ob dem Waid von heute vor der weiteren Verarbeitung immer noch die volkstümlich „Pipi“ genannte Substanz zugegeben wird, fragen Sie sich jetzt vielleicht. Das weiß ich leider auch nicht. Vielleicht möchten Sie dazu selbst ein wenig recherchieren? Ich lege jetzt den Stift hin – heute Nachmittag mache ich mal blau.
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