Beim Lüften meines Schlafzimmers entdecke ich eine Hornisse auf der Fensterbank. Sie krabbelt im Zeitlupentempo umher, vielleicht ist sie an diesem frischen Frühlingsmorgen unterkühlt. Was tun? Eine passend winzige Wärmflasche ist nicht zur Hand, Mund-zu-Mund Beatmung scheint irgendwie auch nicht angezeigt. Ich bringe das Insekt, dessen Gattung viel friedliebender ist als viele glauben, auf einem Stück Pappe in den Garten. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Nach einem Abstecher zum Supermarkt lege ich mit dem Fahrrad eine Vollbremsung hin, um einem Rotmilan zuzusehen, der, über der Kindleber Straße schwebend offenbar seine eigenen Besorgungen erledigt. Mindestens ebenso bemerkenswert wie der elegante Greifvogel ist ein weibliches Exemplar der Spezies Mensch hinter mir, das, gleichfalls auf einem Fahrrad, notgedrungen ebenfalls scharf bremsen musste. Statt mich anzupflaumen, erklärt die Dame sehr freundlich, dass sie den Milan auch schön findet. Im Schlosspark hüpft eine Drossel zögernd auf mich zu, legt den Kopf schräg und observiert mich aufmerksam, als hätte sie eine Seminararbeit über ein besonders kurioses Wirbeltier zu schreiben. Fast glaube ich, ein klitzekleines Notizbuch unter ihrem Flügel zu erkennen. Ich genieße solche Begegnungen. Wie ich in einer großen Illustrierten las, droht in den nächsten Jahren aber ein „stummer Frühling“. Der Grund dafür ist das Insektensterben. Und dafür sind die in der Landwirtschaft gebrauchten Pestizide verantwortlich. Von einigen gut gemeinten, aber vielleicht ganz nutzlosen Hornissen-Rettungsaktionen abgesehen tue auch ich viel zu wenig, um dem entgegenzuwirken. Doch die siebzehnjährige Lina Staab aus Gotha handelt. Sie hat den Wildwuchs-Gemeinschaftsgarten am Kesselmühlenweg/Enckestraße auf einem von der Stadt kostenlos zur Verfügung gestellten Grundstück ins Leben gerufen. Lina und ihr Mitstreiter Lars Krug gärtnern dort im Einklang mit der Natur nach den Prinzipien der nachhaltigen Landwirtschaft. Sie ziehen Kräuter, Blumen und Gemüse ohne Pestizide und freuen sich über Menschen, die für einige Stunden in der Woche mithelfen. Auch Pflanzen (gern nach Absprache) und gebrauchte Holzpaletten für Hochbeete mit insektenfreundlichen Gewächsen sind dort sehr willkommen. So kann jeder etwas beitragen. Denn einen Frühling ohne Vogelstimmen möchte man sich gar nicht vorstellen. Oder? Kontakt zum Gothaer Gemeinschaftsgarten können interessierte Bürger per E-Mail an wildwuchs.garten@posteo.de herstellen
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